Rettungskräfte werden immer häufiger selbst zu Opfern

Retter als Opfer. Bild: Wolfgang Schieren


Laut Pressemeldung der Feuerwehr Gelsenkirchen ereignete sich am 18.09.2016 in Gelsenkirchen folgender folgenschwerere Einsatz, der Entsetzten und Fassungslosigkeit bei allen Beteiligten hinterlässt:
„Um kurz nach 01.00 Uhr war der Leitstelle ein medizinscher Notfall in einem Mehrfamilienhaus an der Bismarckstraße gemeldet worden. Daraufhin wurde unverzüglich ein Rettungswagen zur Einsatzadresse entsendet, der dort sieben Minuten später eintraf. Vor Ort wurde die Patientin in der Wohnung erstversorgt. Als die zweiköpfige Besatzung das Material für den Transport, eine Trage und einen Treppentransportstuhl, aus dem Fahrzeug holen wollte, kamen nach Angebe der Einsatzkräfte plötzlich und völlig unerwartet, mehreren männlichen Personen aus dem Wohnhaus gerannt und griffen sie an. Die Männer schubsten und schlugen die flüchtenden Rettungsdienstkräfte, einer der beiden ging daraufhin zu Boden, wo weiter auf ihn eingetreten wurde. Glücklicherweise gelang es den beiden Einsatzkräften nach eigener Angabe, sich zu befreien und zu einer nahegelegenen Tankstelle zu flüchten. Von dort verständigten sie die Feuerwehrleitstelle und diese informierte unverzüglich die Polizei. Beide Rettungsdienstler erlitten bei dem Angriff leichte Verletzungen. Erst nach dem Eingreifen der Polizei konnte die Besatzung zu ihrem zurückgelassenen Rettungswagen zurückkehren und sich selbstständig in ein Krankenhaus begeben. Beide beendeten nach ambulanter Behandlung ihren Dienest und erstatteten Starfanzeige gegen die Angreifer.“

Kommentar: Rettungsdienst - immer häufiger Opfer statt Helfer

Wie weit sind wir in Deutschland schon gekommen ? Da werden Rettungskräfte im Einsatz mit Silvesterrakete (Hagen) beschossen, da werden Reifen von Notarztwagen (Essen) zerstochen und nun wieder ein tätlicher Angriff auf Rettungskräfte, diesmal in meiner Heimatstadt Gelsenkirchen. Es kann doch nicht wahr sein, da rücken zwei Rettungskräfte aus um einen Menschen in Not zu helfen und zum Ende des Einsatzes sind sie selber in Not, nur weil einige "fehlgeleitete Menschen" nicht wissen wohin mit Ihrer Aggression.

An- und Übergriffe auf Rettungsdienstler und Feuerwehrleute nehmen immer mehr zu. Es darf doch nicht so Enden, das zu jedem Einsatz eine Polizeistreife mit entsendet wird – wo soll das hinführen?

Und als Rettungsdienstler will man Helfen, nicht hinter jeden Flur in einem Wohnhaus oder gar hinter jeden Einsatz ein Gewalttäter vermuten. Was sagt man solchen Einsatzkräften nach einem solchen Übergriff? Wie motiviert man Sie, weiterhin Ihren so wichtigen Dienst am Menschen zu verrichten?
Immer häufiger werden die Männer und Frauen in den Roten Jacken selbst zu Opfern von Gewalttätern und das in einem eh schon emotional schwierigen Beruf, der die Retter so oft an Ihre emotionalen Grenzen bringt. Jetzt müssen sie sich neben dem Not und Elend des Alltages, auch noch mit Gewalttaten gegen sich selber auseinandersetzten. Das darf so nicht weitergehen! Hier muss den Tätern klar Einhalt geboten werden, hier darf nicht Alkohol und /oder eine schwere Kindheit strafmildernd auswirken. Es muss solchen Täter klar gemacht werden, dass ein solcher Angriff gegen Rettungskräfte ein direkter Angriff auf unser aller Wertesystem ist und nicht toleriert werden kann. Es kann nicht sein, das eine Handvoll fehlgeleiteter Idioten, Menschen daran hindern für andere einzustehen. Mitarbeiter im Feuerwehr- und Rettungsdienst haben es so schon schwer genug: Unterbezahlt mit Diensten zu unmöglichen Zeiten und ständig den Aggressionen und Beschimpfungen „dieser Bürger“ ausgesetzt.

Diese Retter setzten jeden Tag ihre Gesundheit auf's Spiel und wofür – um für Euch da zu sein, wenn Ihr in Not seid.

Und mit welcher Intention tun sie dieses: Aus Überzeugung und Dienst am Nächsten. So mag jede rettungsdienstliche Karriere an Anfang begonnen haben. Aber der Frust über all die Beschimpfungen, Anspucken, Androhungen von Prügel bis zur Körperverletzungsdelikten erschwert deren Haltung am „Dienst für den Nächsten“. Die Arbeit im Rettungsdienst ist auch ohne diese Angriffe, schon schwer genug: Oder meinen sie, die schütteln jeden Todesfall so einfach ab, die vielen Schwerverletzten, die eingeklemmten in ihren Autowracks, die Einsätze beim plötzlichen Säuglingstod, die Schwergewichtigen Patienten und noch viele schlimmere Dinge die man sich gar nicht vorstellen möchte.

Aber nicht jeder Einsatz ist emotional am Limit – aber sehr viele sind es.

Lasst die Retter ihre Arbeit verrichten und habt alle ein wenig mehr Respekt vor denen und ihre Arbeit, wer weiß wann auch Du deren Hilfe benötigst.

Nachtrag: Laut Aussage, zumindestens von einem Tatbeteiligten sollen sich die Rettungskräfte über die Körperfülle der Patientin abfällig geäußert haben. Diese "Ehrverletzung" hätte dann zu diese Eskalation geführt, so die Tatentschuldigende Aussage eines der Tatbeteiligten.
Selbst wenn es so gewesen wäre, rechtfertigt dies noch keinen Körperverletzungsdelikt !


Mit einem nachdenklichen Gruß an Euch alle da draußen.

Wolfgang Schieren
ehem. Rettungsdienstkollege

PS: Allen verletzten Rettungsdienstlern alles Gute und der Wunsch nach baldiger Genesung.